Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.
Um zu verhindern, dass der Prüfungsbetrieb an den Hochschulen während der Coronapandemie zum Erliegen kam, hatten die Länder die Hochschulen ermächtigt, ihre Lehrveranstaltungen und auch den Prüfungsbetrieb so zu modifizieren, dass trotz Kontaktverboten, Abstands- und Hygieneregeln die Ausbildung der Studierenden fortgesetzt und Abschlüsse erlangt werden konnten. Diese Ermächtigung hatte die Universität Ulm mit ihrer „Satzung der Universität Ulm aufgrund der Auswirkungen der Corona Pandemie im Bereich Studium und Lehre“ (im Folgenden Corona-Satzung) umgesetzt und die Leitenden der Lehrveranstaltungen unter Anderem ermächtigt, Prüfungen abweichend von der normativen Vorgabe in den Prüfungsordnungen in einem anderen Format durchzuführen, also beispielsweise statt einer Klausur eine Hausarbeit oder anstelle einer Präsentation einen Test in Präsenz oder im Wege einer Online-Prüfung anzuordnen. Die Prüfenden hatten somit eine Ermessensentscheidung zu treffen und ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Satzung auszuüben und im Übrigen die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Eine solche Entscheidung kann gerichtlich nur eingeschränkt dahingehend überprüft werden, ob sie überhaupt getroffen wurde, sich die Person, welche die Entscheidung zu treffen hatte, von sachgerechten Erwägungen hat leiten lassen und ob die durch das geltende Recht gezogenen Grenzen nicht über- oder unterschritten wurden. Solche Grenzen werden häufig durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder den Gleichheitssatz gezogen.
Unsere Mandantin studierte Humanmedizin an der Universität Ulm. Ihr fehlte das Bestehen einer letzte Prüfung, um sich zur staatlichen Prüfung anmelden zu können. Leider war sie im regulären Prüfungsversuch gescheitert und auch der erste Wiederholungsversuch war nicht erfolgreich. Nach der einschlägigen Studienordnung war nun für den zweiten Wiederholungsversuch, der gleichzeitig auch die letzte Wiederholungsmöglichkeit darstellte, eine mündliche Prüfung durchzuführen.
Gestützt auf die oben genannte Corona-Satzung änderte der Lehrverantwortliche die Prüfungsform für diese zweite Wiederholungsprüfung ab und ordnete eine schriftliche Prüfung in Gestalt des Antwort-Wahl-Verfahrens (hier Multiple-Choice-Verfahren) in Präsenz an.
Das lag im Ergebnis zwar grundsätzlich im Rahmen dieser Satzung und auch im Rahmen des dem Prüfenden zustehenden Ermessens. Allerdings war diese Entscheidung nach der Satzung nicht nur zu treffen, sondern auch zu dokumentieren und dem Prüfungsausschussvorsitzenden bekannt zu machen. Denn nur so ließ sich überprüfen, ob das Ermessen auch rechtmäßig ausgeübt wurde. Eine solche Dokumentation gab es in den uns vorgelegten Akten aber nicht und sie konnte selbst nach Aufforderung durch das Verwaltungsgericht Sigmaringen von der Universität Ulm nicht vorgelegt werden. Es existiert an der Universität Ulm für den humanmedizinischen Studiengang nicht einmal ein Prüfungsausschuss, weshalb es auch keinen Prüfungsausschussvorsitzenden gab, dem diese Änderung der Prüfungsform hätte bekanntgemacht und dem gegenüber die Ausübung des Ermessens hätte begründet werden können.
Ohne Dokumentation war die Fehlerfreiheit der Ermessensentscheidung und damit Rechtmäßigkeit der Abänderung der Prüfungsform aber nicht überprüfbar. Das war rechtswidrig. Denn es stellte sich ja bereits die Frage, warum eine mündliche Prüfung, die durchaus auch online hätte durchgeführt werden können, durch eine schriftliche Klausurersetzt werden sollte, die in Präsenz an der Universität abzulegen war und damit mit einem höheren Infektionsrisiko einherging.
Nach einem eindeutigen Hinweis durch das Gericht konnte daher der Rechtsstreit durch einen Vergleich beendet werden. Unsere Mandantin erhält einen neuen Prüfungsversuch und darf die Prüfung erneut ablegen.
Dr. Jürgen Küttner steht Ihnen insbesondere im Prüfungsrecht und im Beamtenrecht als hochqualifizierter Ansprechpartner zur Verfügung.