03. Juli 2023Rechtsmittelrecht | Prüfungsrecht

Erfolgreiche Zulassung der Berufung vor OVG NRW im Prüfungsrecht (Multiple Choice)

Stellen Sie sich vor, Sie werden gefragt, was für den Bau von stabilen Brücken am wenigsten geeignet sei: Holz oder Beton? Ich würde aus diesen beiden vorgegebenen Antwortmöglichkeiten Holz wählen und wäre überrascht, wenn ich die Prüfung nicht bestehen würde, weil Beton die falsche Antwort sein soll mit der Begründung, dass die aktuellen Empfehlungen für den Brückenbau Stahlbeton und zwar in der Variante Spannbeton und damit eben nicht Beton vorschlagen würden.

Prüfungen im Antwort-Wahl-Verfahren (auch Mehrfachauswahlverfahren genannt) gibt es in verschieden Varianten: Beispielsweise wird häufig vorgegeben, dass im Hinblick auf eine Frage oder Aussage aus einer begrenzten Anzahl von möglichen Antworten eine Antwort als zutreffend ausgewählt werden soll (häufig single-choice genannt) oder es können keine, eine, mehrere oder alle vorgegebenen Antwortmöglichkeiten auf eine Frage zutreffend sein (oft als multiple-response bezeichnet), wobei es dabei auch die Variante gibt, dass mehrere Antwortmöglichkeiten vorgegeben werden und gleichzeitig gilt, dass eine bestimmte Anzahl von diesen Antworten richtig sei (was eigentlich das multiple-choice-Verfahren ist). Bei wieder anderen Aufgaben werden die richtig gegebenen Antworten progressiv bewertet, indem beispielsweise auf eine Frage vier Aussagen vorgeschlagen werden, die jeweils mit richtig oder falsch beziehungsweise zutreffend oder nicht zutreffend zu markieren sind, wobei anschließend für das Markieren nur einer richtigen Antwort ein Punkt, für zwei richtige Antworten insgesamt drei Punkte, für drei richtige Antworten sechs und für vier richtige Antworten insgesamt zwölf Punkte vergeben werden.

Prüfungen im Antwort-Wahl-Verfahren bergen eine Fülle von Vorteilen: Beispielsweise wird die Bewertung vorweggenommen, indem bereits bei der Aufgabenerstellung festgelegt wird, welches für die gestellten Fragen die richtigen und falschen Antworten sein sollen. Das bedeutet, dass die Bewertung nur einmal erfolgt und nicht mehr jede einzelne Prüfungsleistung bewertet werden muss, sondern die Antwortbögen schlicht und einfach ausgewertet werden können, wozu Computer oder auch Personen eingesetzt werden können, die über keine besondere Qualifikation verfügen müssen. Das macht solche Prüfungen kostengünstig und die Auswertung kann sehr schnell erfolgen. Anders als bei mündlichen oder praktischen Prüfungen können auch prüfungsfremde Kriterien wie Aussehen oder Geschlecht nicht einmal unbewusst eine Rolle spielen.

Nachteilig ist andererseits, dass die Teilnehmenden ihre Antworten nicht erklären und begründen können. Außerdem sind kreative oder neuartige Lösungen für die gestellten Fragen ausgeschlossen, weil nur aus vorgegebenen Antworten ausgewählt werden kann. Es besteht überdies ein statistisches Raterisiko, das zu kompensieren ist. Ferner führt die Vorbereitung auf Prüfungen im Antwort-Wahl-Verfahren oft dazu, dass die Teilnehmenden das Auswählen von Antworten einüben, aber nicht das Lösen von Aufgaben. Das kann bei berufsbezogenen Prüfungen zu fragwürdigen Ergebnissen führen, weil Teilnehmende gut in Prüfungen im Antwort-Wahl-Verfahren abschneiden, wenn sie lediglich gelernt haben, bekannte Fakten in vorgegebenen Lösungsvorschlägen wiederzuerkennen, während sie aber gleichzeitig zur Bewältigung von anderen Problemen oder neuartigen Fragestellungen und Herausforderungen nicht in der Lage sind (weil sie Faktenwissen angehäuft haben statt Fachwissen zu erwerben). Außerdem stellt sich die Frage, ob es einer statistischen Korrektur bedarf, wenn die Durchfallquoten besonders hoch sind, weil die gestellten Aufgaben in einem Durchgang besonders schwierig waren.

In rechtlicher Hinsicht ist ferner zu berücksichtigen, dass richtige Antworten nicht als falsch bewertet werden dürfen, was beispielsweise im Hinblick auf die statistische Ratewahrscheinlichkeit Schwierigkeiten aufwerfen kann. Zudem müssen die Fragen oder Aufgaben verständlich gestellt und die möglichen Antworten oder Aussagen, aus denen auszuwählen ist, müssen fehlerfrei bestimmt werden. Heikel wird das, wenn in Aufgaben mit doppelten oder mehrfachen Verneinungen gearbeitet oder in denen danach gefragt wird, welche der Antworten weniger oder am wenigsten beziehungsweise eher oder am ehesten zutreffend sind.

Die Rechtsprechung verlangt, dass solche Fragen eindeutig gestellt und eindeutig beantwortbar sein müssen, weshalb bei ihnen nur eine der gegebenen Antwortmöglichkeiten vertretbar sein darf. Stellt sich aber im Nachhinein heraus, dass auch eine der anderen Antworten vertretbar ist, etwa weil sie nach neueren Erkenntnissen, die vor der Prüfung bereits im Fachschrifttum veröffentlicht wurden, empfohlen oder sogar aktuell bevorzugt wird, muss auch diese Antwort als zutreffend bewertet werden oder die Frage ist aus der Prüfung zu eliminieren.

Bei unserem Mandanten geht es um eine solche „Am-Wenigsten-Frage“. Gefragt wurde bei einer Differenzialdiagnose danach, welche der angegebenen Untersuchungen hierfür die am wenigsten geeignete sei. Das impp (Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen) hatte sich für eine Untersuchung entschieden, die nach den nationalen Leitlinien tatsächlich nicht mehr empfohlen wird. Unser Mandant hingegen hat eine andere Antwort und damit eine Untersuchungsmethode gewählt, die nach den internationalen Leitlinien als (noch) nicht zu empfehlen gilt. Insoweit stellt sich ja bereits die Frage nach der Eindeutigkeit der Aufgabe. Das ist aber noch nicht das Ende: Unser Mandant hatte auch deshalb seine Auswahl getroffen, weil er wusste, dass die nationalen Leitlinien die vom impp als am wenigsten geeignet angesehene Untersuchungsmethode deshalb nicht mehr empfehlen, weil sie stattdessen eine Methode für vorzugswürdig halten, bei der eben genau diese Untersuchung zwingend mit durchgeführt und ihr Befund bei der Diagnose mit einbezogen wird.

Das Verwaltungsgericht wollte sich aber nicht mit diesen Argumenten befassen und lehnte in der mündlichen Verhandlung eine Diskussion hierüber ausdrücklich ab. Ein von uns daraufhin gestellter Beweisantrag blieb erfolglos. Die auf Neubewertung gerichtete Klage wurde abgewiesen.

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat nun innerhalb von weniger als drei Monaten und damit ungewöhnlich schnell auf unseren Antrag die Berufung zugelassen, weil es nach seiner Auffassung auf die Frage ankommt, ob die Aufgabe überhaupt so gestellt werden durfte und ihre Beantwortung besondere tatsächliche Schwierigkeiten aufwirft.

Von Teipel & Partner mandatsführend:

Weitere Informationen zu Dr. Jürgen Küttner

  • Spezialist im Prüfungsrecht und Beamtenrecht 
  • Fachanwalt für Verwaltungsrecht seit 2008. 
  • Promotion zum Dr. „in utroque iure“ (kanonischem und weltlichem Recht)
  • Über 500 persönlich geführte Verfahren im Prüfungsrecht/Hochschulrecht
  • Erfolge vor dem Bundesverwaltungsgericht (sowohl Revisionsnichtzulassungsbeschwerde als auch Revision) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und dem Bundesfinanzhof.

Dr. Jürgen Küttner steht Ihnen insbesondere  im Prüfungsrecht und im Beamtenrecht als hochqualifizierter Ansprechpartner zur Verfügung.  

Dr. Jürgen Küttner war mandatsführend in folgenden Verfahren

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